Oder: Wie Emma Hinze des Sports wegen in die Pücklerstadt kam, scheinbar Superkräfte erhielt, hier die Liebe ihres Lebens kennenlernte und in sieben Jahren die ganze Welt auf zwei Rädern eroberte.
Emma Hinze ist selbst mit ihren bereits fünf Weltmeistertiteln angenehm bodenständig geblieben. Sie kann bei allem Erfolg noch ihren ganz persönlichen „Fangirl-Moment“ an der Seite des einstigen Dauer-Olympiasiegers Chris Hoy genießen und per Facebook mit der Welt teilen. Dabei hat sie für viele Pücklerstädter inzwischen selbst sportlichen Kultstatus. Ihre Eltern mussten das schon früh geahnt haben, schließlich bedeutet Emma nichts anderes als „die Große“.
Mit dem Radsport begann die sympathische Athletin allerdings ganz klein, mit sechs Jahren. Sicher machte sich die Mountainbike-Begeisterung ihrer Eltern in der DNA bemerkbar, den Ausschlag gab aber der Besuch eines Radrennens. Die Geschwindigkeit im Oval faszinierte Emma – und so fand sie sich kurz danach im Sattel ihres ersten Rennrads wieder und eroberte als Kleinste im Vereinsteam die Straßen rund um Hildesheim. Die kleine Mittelstadt zwischen Harz und Hannover hat mit dem RSC Hildesheim einen erstaunlichen Rennstall. Papa Hinze war dort Schatzmeister, als Emma ihre erste Landesmeisterschaft gewann. Der kleine Verein hat eine echte Tradition national und international erfolgreicher Nachwuchs-Radrennfahrer. Vorbilder gab es für Emma Hinze genug, mit 15 Jahren folgten erste Sichtungsrennen für den Nationalkader und im ersten Jahr mit Deutschlandtrikot schon zwei erste Plätze im Junioren-Teamsprint bei Europa- und Weltmeisterschaft.
Im Folgejahr, das von der Flüchtlingskrise überschattet war, veränderte sich ihr Leben grundlegend. Ihr Umzug nach Cottbus wurde begleitet von gleich sieben ersten Plätzen bei den Europa- und Weltmeisterschaften der Juniorinnen und gleich zwei Juniorinnen-Weltrekorden. Cottbus schuf das optimale sportliche Umfeld. Hier entdeckte sie die Liebe ihres Lebens – ein schweißtreibendes Betonoval. Die Cottbuser Radrennbahn ist bis heute fast jeden Tag ihr Zuhause. Mit Alexander Harisanow fand sie den Trainer und Mentor, der sie auch durch Höhen und Tiefen führte und dem sie später einen Weltmeistertitel widmen sollte. Der ersten Olympiateilnahme folgten aber auch schwere Zeiten – bis das Jahr 2020 mit gleich drei Goldmedaillen bei den Weltmeisterschaften den Lohn für jahrelanges, hartes Training auf dem Cottbuser Oval brachte.
Cottbus war sicher keine Liebe auf den ersten Blick. Es wirkte zuerst grau und unscheinbar. Ihr Leben spielte ohnehin erst einmal in der Sportschule und auf der Bahn. Heute ist sie nicht nur im Leben, sondern auch in Cottbus angekommen. Der zweite Lieblingsplatz gehört neben dem Oval dem Altmarkt-Pflaster, im Sommer genießt sie mit Freunden das französische Flair auf der größten Terrasse der Lausitz. Sie kennt jetzt ihre Ecken. Für alte Freunde in Hildesheim ist sie inzwischen „die aus dem Osten“, für viele Cottbuser Freunde noch immer „die aus dem Westen“. Sie fühlt sich auf beiden Seiten zu Hause.
Spätestens 2021 war der Stolz der Pücklerstädter auf ihre Gold-Emma nicht mehr zu übersehen. Vor Olympia war es fast schon zu viel der Erwartungen, selbst der DHL-Bote lieferte mit dem Päckchen auch seine goldige Gewissheit ab. All das erschwerte die Freude über das erste Olympiasilber. Es wurde dennoch ein Jahr der Erfolge und Emotionen. Über zwei weitere Weltmeistertitel unmittelbar nach Olympia und Ehrungen als Brandenburgs Sportlerin und als Sportsoldation des Jahres freute sich eine ganze Stadt mit. Es ist schön zu sehen, wie Emma Hinze nach wie vor über jeden Platz auf dem Treppchen ehrlich jubeln kann, ihren Ehrgeiz, aber auch ihre Demut nicht verloren hat. So freut sie sich über den Titel als Sportsoldatin ganz besonders, weil diese Anerkennung Ergebnis einer Wahl aller Sportler bei der Bundeswehr ist, die allesamt in unterschiedlichsten Disziplinen hart trainiern.
Empathie schafft Nähe und Unterstützer – so trägt Emma mit der Gebäudewirtschaft Cottbus, der örtlichen Sparkasse und dem Edeka-Center Scholz gleich drei Unternehmen mit auf ihre Rennen in alle Welt. Das Sponsoring scheint dabei manchmal fast Nebensache, oder wie Emma es sagt: „... die sind alle voll nett“. Hier ist eben alles ein bisschen familiärer.
Und Pückler? Natürlich. Die Pyramiden. Der erste Besuch ihrer Eltern führte sie im Jahr 2015 gleich in den Park Branitz. Von Pücklers grünen Pyramiden hatte sie zuvor noch nichts gehört – das war mal was anderes. Und bei ihr bekommt dieser Ort nach Oval und Altmarkt einen respektablen dritten Platz. Keine Sorge, bei Emma Hinze kann auch der grüne Fürst einmal etwas zurückstecken.