Von großen Fußstapfen, die per Mikroturbine die Welt erobern

Von großen Fußstapfen, die per Mikroturbine die Welt erobern

Wie Sebastian Kießling vom östlichsten Ort Deutschlands zuerst in dessen größten und dann in die Pücklerstadt kommt, dort auf einen Berg trifft, der ihm Inspiration und Starthilfe für ein grünes Projekt liefert, mit dem er heute die Welt ein bisschen grüner macht.

Wer auf Sebastian Kießling trifft, schaut fast zwangsläufig nach oben. Zum einen wegen der Körpergröße, nach wenigen Gesprächsminuten aber auch aus Respekt. Vielleicht liegt es an dem guten Überblick aus über zwei Metern, dass er so frühzeitig den Trend zu nachhaltiger Energie erkennt und sich jetzt – so alles gut geht – auf dem Sprung zu einem Hidden Champion der Energiewende befindet. Die Geschichte ist umso erzählenswerter, werden die großen Fußstapfen doch ausgerechnet von etwas technisch recht Filigranem gefüllt. Aber eins nach dem anderen:
Ende der 1980er-Jahre in Zittau zur Welt gekommen, folgen einem Umzug ins eine halbe Autostunde entfernte Görlitz seine ersten Kindheitsjahre in der nach wie vor östlichsten Stadt Deutschlands. Görlitz ist damals noch im Dornröschenschlaf und weit entfernt vom heutigen Glanz. Wie so viele der Nachwende-Generation verlassen seine Eltern die Lausitz ins nahe Berlin. Auch wenn er dem Lehrerpärchen in der Berufung nicht folgt, prägt deren Nähe zu Mathematik und Physik sein Leben doch nachhaltig – ebenso wie eine praktische Tischlerlehrausbildung, die er neben der Schule absolviert.
Ein Comeback der Lausitz ist eigentlich nicht geplant. Aber bei der Studienwahl ist die Cottbuser Energieuniversität tatsächlich der einzige Ort, der Energietechnik und Kraftwerkstechnik verknüpft – genau das interessiert ihn. Passenderweise sorgt hier die Thermodynamik für den richtigen Auftrieb. In genau diesem Fachgebiet von Professor Peter Berg wird er in die Entwicklung einer großen Gasturbine einbezogen, entdeckt im Widerspruch zu seiner Körpergröße aber eine Vorliebe für Turbinen im Kleinformat.
Noch im Studium reift er zum Unternehmer, setzt erste Konzeptionen und Auslandsaufträge um und gründet 2010 gleich nach dem Abschluss einen Firmenverbund zusammen mit jenem Professor der Thermodynamik. Auch wenn der sich einige Jahre später weitgehend anderen Dingen widmet, sind seine Fußstapfen bis heute mit Respekt als erster Teil des Firmennamens bewahrt. Im Entwicklungsgeschäft entstehen Prototypen und es folgen durchdachte Konzeptionen bis hin zu Kleinserien – das Cottbuser Team wird zur ausgelagerten Entwicklungsabteilung für Firmen bis nach Asien. Anfang 2012 ist Sebastian Kießling mit ersten metallgedruckten Mikrogasturbinen ein wahrer Pionier. Die kleinen Turbinen mit externer Befeuerung laufen weniger heiß, sind pflegeleicht und leise. Sie können zudem Brennstoffe minderer Qualität nutzen – und finden so ihren Weg in große Generatoren namhafter Hersteller. Das Potenzial für Nutzfahrzeuge erkennen konservative deutsche Autobauer nicht, dafür aber die findigen Chinesen. Das ist 2013. Für drei Jahre bindet der asiatische Markt die Kapazitäten des Start-ups. Dann richtet sich der Blick des Unternehmers auf die zunehmenden Herausforderungen der Energiewende. Allerorten wird Abwärme vergeudet, teils gekühlt durch den Schornstein gejagt – bei Abgasen sogar abgefackelt. Ein gewaltiger bilanzieller Klimaschaden. Genau hier kommt ihm die Idee, auf Grundlage der extern befeuerten Mikrogasturbine kleine Kraftwerke zu entwickeln, die Abwärme wieder in Wärme- und Energiekreisläufe einspeisen. Er geht ins Risiko – mit einem Kredit von über drei Millionen Euro und drei Jahren Entwicklungszeit. 2020 ist die Technologie zur Nutzung von Restwärme und vielfältigen Brennstoffen entwickelt, zwei Jahre später die erste Anlage verkauft – heute stehen in Cottbus gefertigte Anlagen im Ausmaß von je zwei Schiffscontainern auch in der Schweiz. Distributionen in Australien, Nordamerika und Asien sind angeschoben. In Cottbus wird eine neue Produktion für Kerneuropa entstehen, auf anderen Erdteilen in unterschiedliche Fertigungstiefen expandiert.
Die Entwicklung der Technologie fällt in die Zeit, in der in heimischen Wäldern immer mehr Schadholz anfällt. So wird der Visionär auf Holzreststoffe aufmerksam und damit auf ein riesiges Potenzial, das in vielen Regionen der Welt ungenutzt bleibt. Anders als bei Hackschnitzeln oder Pellets als vergleichsweise hochwertige Brennstoffe nimmt er Reste aus der Waldbewirtschaftung in den Fokus. Ein enormes Potenzial für klimaneutrale Energiewandlung, das zudem lokal verfügbar ist und unnötige Transporte spart. Er gründet mit einer Partnerin ein neues Unternehmen und geht noch einen Schritt weiter. Per Pyrolyse wird aus Holzreststoffen nun nicht nur klimaneutral Wärme und Strom, sondern als zusätzliches Produkt Pflanzenkohle gewonnen, die CO2 bindet und Bodeneigenschaften gerade in trockenen Regionen stark verbessert. Das klimapositive Anlagensystem wird auf „Pyro-ClinX“ getauft und hat das Zeug zur Wiedergutmachung. Die Lausitz hat 150 Jahre Kohle aus dem Boden geholt und dem Klima geschadet, jetzt kann sie die Kohle dem Boden mit positivem Klimaeffekt zurückgegeben.
Eine Vision, die 30 Ingenieure rund um Sebastian Kießling mittragen – und für die Fürst Pückler als Parkomanier und Visionär für grüne Kreisläufe aus seiner Pyramide sicher reichlich Beifall zollt.

www.bergundkiessling.com 

Foto: Visionär Sebastian Kießling ist sichtlich stolz auf sein klimapositives Anlagensystem.

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