Wie Marcus Hillegaart und Thomas Strauss auf der Schulbank ihr Faible für Farbgestaltung entdecken, die gesamte Fassade ihrer Schulturnhalle zur Leinwand machen und schließlich Pavillons auf Weltausstellungen und kilometerlange Schallschutzwände gestalten..
Es war Mitte der 1990er-Jahre, als Marcus Hillegaart und Thomas Strauß mit Start der 10. Klasse zufällig in derselben Schulbank landeten. Der eine HipHop-Fan und cooler Sprayer, der andere eher introvertiert und ein begnadeter, fotorealistischer Zeichner. Was damals mit einer Begeisterung für die Fähigkeiten des jeweils anderen eher illegale Wege auf die ein oder andere Wandfläche fand, ist 25 Jahre später ein gefragtes Geschäftsmodell in einem exotischen und farbintensiven Crossover.
Dass die zwei gebürtigen Cottbuser der Pücklerstadt bis heute treu sind, ist der abgehobenen Selektion der Potsdamer Fachhochschule für Bildende Kunst zu verdanken. Dabei hatten sie bei ihrer Bewerbung bereits großflächige Referenzen. Noch während des Abiturs mündete die Symbiose aus Spritztechnik und Fotorealistik in einer Wandmalerei auf 250 Quadratmetern. Über die gesamte Fassade der Sporthalle des Leichhardt-Gymnasiums zog sich ein knallbunter BMX-Fahrer. Es war der erste Umgang mit Hebebühne, großer Mannschaft und riesigen Dimensionen. Mit dem Scheitern der Studienbewerbung folgte ein vermeintliches Wartejahr mit Gelegenheitsjobs, aus dem weitere Landmarken in der Lausitz und schließlich die heutige Firma resultierten. Wer nach dem schwimmenden Mädchen in Weißwasser googelt, landet noch heute beim riesigen Wandbild aus einem der ersten Auftragsjobs. Seinerzeit, zur Jahrtausendwende, waren Webseiten gerade für kleinere Firmen noch ein rares Gut. So wurden sie zu lokalen Vorreitern im World Wide Web und prompt von einer Berliner Agentur entdeckt, die Deutschlands Expo-Pavillon jung und innovativ gestalten wollte. Aus der ersten Expo in Hannover wurden schließlich zwei weitere in der Schweiz und in Shanghai. Hier verwandelten sie 16 Säulen in beeindruckende Bäume, deren Kronen förmlich in die Hallendecke überflossen und bei genauer Betrachtung aus dem Schriftzug des jeweiligen Bundeslands komponiert wurden. Damals waren sie schon auf dem Weg zum ersten Patent.
Das Spiel mit Dimensionen und Oberflächen ist bis heute die besondere Expertise von Strauss & Hillegaart. Dabei geht es zum einen um einen möglichst schonenden und effizienten Umgang mit Ressourcen, andererseits um pfiffige Technologien. Heute rastern sie Farbflächen für Fassaden von Industriebauwerken, entwickeln für die Umsetzung riesige Schablonen und können so einen Großteil der Arbeit einem eingespielten Team aus Malern und Fassadengestaltern überlassen. Spätestens bei fotorealistischen Details muss aber immer noch Thomas Strauss auf die Hebebühne. In immer mehr Jobs liefern sie aber fast schon mathematisch strukturierte Kunstwerke ab. Passend zur Oberfläche wird die Wandgestaltung in Raster mit Linien und Flächen zerlegt und kann quasi wie beim Malen nach Zahlen durch Dritte aufgebracht werden. Mit solchen Techniken entwickeln sie aktuell die Farbgestaltung für ein riesiges Industrieensemble im Saarland, das in Einklang mit dem umliegenden Weltkulturerbe gebracht werden soll. Diese Verbindung aus Wandgestaltung und Technologie hat zwei Wurzeln. Eine kann man in einer Berliner Zahnarztpraxis bis heute bestaunen. Die Zahnspezialisten KU 64 entführen ihre Patienten mit einem durchdachten Praxisdesign in ein Gefühl aus Strand und Wärme. Riesige Rasterbilder ziehen sich über knallgelbe Böden, Wandelemente und Decken. Hier lernten sie, Gestaltung und Blickperspektiven in Einklang zu bringen. Ein zweiter Auftrag erforderte den äußerst filigranen Farbauftrag auf eine grob strukturierte Fassade. Aus diesen Herausforderungen entwickelten sie ihre eigene Technologie mit feinen Rastern, Flächen und Schablonen, die heute patentiert ist und sie in der Wandgestaltung zu Exoten macht.
Auftragnehmer kommen heute auch aus der Schweiz und aus Österreich. In Belgrad wurden sämtliche Innenräume eines Hotels mit Rasterbildern von Strauss & Hillegaart überzogen. Der Cottbuser Hauptbahnhof wurde mit ihrer Fassadengestaltung zu Deutschlands Bahnhof des Jahres 2021. Im frisch renovierten Foyer des LEAG-Hauptsitzes haben sie mit statischen Lamellen und etwas Zauberei die Veränderung des Unternehmens in einen lebendigen Farbwandel überführt, der sich Besuchern mit jedem Schritt erschließt. Noch größer gedacht haben sie bei einem neuen Geschäftsfeld, das sie gleich komplett patentieren ließen. Per Drohnenflug scannen sie Lärmschutzwände mit ihrem landschaftlichen Umfeld und lassen diese dann per passender Farbgestaltung quasi in der Landschaft verschwinden. Das patentierte Verfahren nutzt die Deutsche Bahn demnächst für ein Pilotprojekt bei Frankfurt am Main – vier Kilometer Lärmschutzwand erhalten die neue Unsichtbarkeit.
Kein Wunder, dass die zwei sich in der Lausitz etwas mehr Sinn für die Symbiose aus Industriegebäuden und Landschaft wünschen. Dieses gestalterische Ineinandergreifen von Industrie und Landschaft hätte sicher auch Pückler gefallen, der den beiden bei privaten Ausflügen zu seinen Pyramiden in den Branitzer Park immer wieder Inspiration liefert.
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Foto: Marcus Hillegaart (links) und Thomas Strauss in ihrem Cottbuser Atelier über der Farbplanung für ein riesiges Industrieensemble im Saarland. Fotograf: Johannes Zantow