Wie Alexander Knappe im Brutkasten ins Leben startet, Robert Harting im Speerwurf schlägt, mit Materia in der Nationalelf kickt, zwischen die Fronten des TV-Business gerät und nach zwei krassen Wendepunkten nun selbst bestimmt – und endlich nach Hause kommt.
Das Knappe von Knabe stammt, macht nach dieser Geschichte wirklich Sinn. Es ist manchmal das größte im Leben, wenn man sich durch Höhen und Tiefen letztendlich die Unschuld und Begeisterungsfähigkeit einer kindlichen Seele bewahrt. Hier hat das einer geschafft.
Alexander Knappe war schon voller Ungeduld, als es ihn eigentlich noch gar nicht geben sollte. Acht Wochen vor der Zeit kam er als Frühchen auf die Welt und kämpfte sich im Brutkasten ins Leben. Er war noch kein halbes Jahr, als seine Eltern von Guben nach Cottbus zogen – in die damals wohl bekannteste Wohnung der Stadt. Zehn Jahre zuvor war hier eine MiG 21 abgestürzt und steckte in der dritten Etage eines Wohnblocks der Schmellwitzer Straße fest, genau in seinem späteren Kinderzimmer. Hier wuchs er auf wie so viele glückliche Ostkinder. Morgens raus auf die Straße, abends im Dunkeln wieder nach Hause. Die meiste Zeit gehörte dem Bolzplatz um die Ecke.
Von klein auf ein Energiebündel samt ADHS, schien die Sportschule der passende Ort für all den Bewegungsdrang. Als Bolzplatzkind ohne Verein wurde es im ersten Anlauf aber nicht der geliebte Fußball – sondern die Leichtathletik. Beim Aufnahmetraining stand er neben Robert Harting, landete als Speerwerfer in der gleichen Trainingsgruppe und wurde im ersten Jahr tatsächlich vor dem Kraftpaket Brandenburgs Landesmeister. Er zog um ins neue Sportschul-Internat, es war der erste Jahrgang im Haus der Athleten. An den Geruch erinnert er sich bis heute. Bei einem Kick der Leichtathleten gegen die Fußballer war sein Talent dann doch nicht zu übersehen. Er wechselte zu den Kickern, kurz darauf folgte der große Wurf. Damals begannen alle West-Bundesligavereine mit dem Aufbau von Nachwuchs-Leistungszentren. Bei einem Auswahlspiel wurde er entdeckt und wechselte mit 13 Jahren nach Berlin – zur neuen Hertha-Akademie am Olympiastadion. Sein Pate wurde Sebastian Deißler, zu den zehn Spielern seines Jahrgangs zählte mit Kevin Prince Boateng einer, der später mit Messi bei Barcelona kickte. Er selbst schaffte es bis in die U17 Nationalmannschaft, zusammen mit Marten Laciny, der heute als Materia für lila Wolken sorgt. Mit dem Berliner Team gewann er die Schulvereins-Weltmeisterschaft. Der Weg zum Profi war vorgezeichnet. Mit 18 Jahren folgte dann aber ein Schicksalsspiel gegen Union Berlin, ein Kreuzbandriss mit vielen Komplikationen und schließlich der schwere Weg zu Sportdirektor Dieter Hoeneß, der den Vorvertrag zur Profiklasse auflöste. Zu langwierig schien die Reha. Eine Woche später versemmelte er als einziger seines Jahrgangs das Abitur, stürzte ins erste mentale Tief und fuhr nach Cottbus. Diese Fahrt sollte zum ersten Wendepunkt seines Lebens führen.
Ausgerechnet an diesem Tag fand auf dem Altmarkt der Pücklerstadt ein Pro Sieben-Casting für „Popstars“ statt. Dem Gewinner winkte eine Wildcard für die TV-Show. Er meldete sich spontan an – und gewann. Zur Show kam er nie, weil ihn ein Jurymitglied direkt ins Tonstudio lotste und Alex vom ersten Plattenvertrag träumte. Es folgten sieben Jahre mit diversen Bandprojekten und unzähligen Jobs – von Starbucks über Geisterbahn bis zur Moderation von Stripshows. Alles ordnete sich dem Ziel unter, Musikprojekte zu finanzieren und den Durchbruch zu schaffen. 2010 war es endlich soweit: mit Christian Geller gab ihm einer der besten Produzenten Deutschlands einen Platz in einem Rockabilly-Bandprojekt. Kurz danach folgte eine Anfrage für ein neues TV-Casting mit Sarah Connor in der Jury. Alex sagte auch hier zu und wurde schon nach der ersten Show als Favorit gehandelt. Unerfahren und mit einer Prise Naivität schob er die notwendige Entscheidung zwischen den Vertragsverhältnissen zu lange auf, verwickelte sich in Widersprüche und täuschte in der TV-Show schließlich einen Kreuzbandriss vor. Er lernte schließlich Senderchefs und Anwälte kennen und wurde dann live im TV vorgeführt – als Lügner der Nation. Das war der zweite Wendepunkt, mental noch heftiger.
Es war im Sommer 2011, als sich eine Welle von Hass über ihn ergoss. Da war mit Kay Oliver Krug aber auch ein Produzent, der an ihn glaubte. In seinem Studio begann Alex, seine ersten eigenen Songs zu schreiben. „Sing mich nach Hause“ erhält vor all den Hintergründen eine ungeahnte Tiefe, schon als dritter Song erblickte „Weil ich wieder zu Hause bin“ das Licht der Welt. Es folgte ein Plattenvertrag bei Ferryhouse Music in Hamburg, ein Jahr später das erste Album mit RTL-Kampagne, Video und Einstieg auf Platz 21 in den Charts. 40.000 Alben wurden damals vom Debut verkauft, inzwischen steht es knapp vor Gold. Es folgten vier weitere Studioalben, die letzten stiegen in der Startwoche in die Top 6 und Top 5 ein. Orchestertouren, eine breite Live-Base mit über 1.000 Leuten bei Hamburg-Konzerten und den „Liebe kennt keine Liga“-Openairs in Cottbus führten im Jahr 2022 endlich zum Plattenvertrag mit dem Majorlabel Sony Music. Und genau in diesem Moment sitzt Alexander Knappe im Coffellatte am Cotbuser Altmarkt und fühlt den richtigen Moment für einen weiteren Wendepunkt. Das nächste wird das letzte Album, es wird 2024 mit einer Clubtour den Abschied von der Bühne feiern. Einfach aufhören, wenn es am schönsten ist. Der dritte ist endlich ein selbstbestimmter Wendepunkt.
Es ist Zeit für Neues, für Familie, für Musik aus einer anderen Perspektive. Für das aktuelle Ben Zucker-Album hat er alle vier Singles geschrieben, kann sich Events vorstellen, es gibt viele Möglichkeiten. Und mit jedem Jahr Musik ist er auch immer mehr nach Hause gekommen. Nach Cottbus. Jetzt könnte es ein endgültiges Nachhausekommen sein.
Wie Pückler hat er sich eine kindliche Begeisterungsfähigkeit bewahrt. Beide eint, Geschichten zu erzählen, aus der Norm zu fallen, auch mal um die Ecke zu denken. Wie bei Pückler werden auch Knappes Geschichten bleiben, nur etwas weniger verrückt, bodenständiger, und in ihrer Tiefe immer noch vom Bolzplatzkind beseelt.
Foto: Dieses Jahr vom 31.8.-3.9.: Stadionopenair „Liebe kennt keine Liga“ mit Alexander Knappe